Vipassana Newsletter deutsch (PDF)
Vipassana Newsletter englisch (PDF)
(Adaptiert von Ken und Visakha Kawasaki, The Buddha's Eight Great Victories, 2022, S. 10)
Zur Zeit des Buddha hatte ein Berater von König Pasenadi einen Sohn namens Ahiṃsaka, was „der Harmlose“ bedeutet. Er wurde zu seiner Ausbildung nach Takkasilā geschickt. Ahimsaka war ein derart hervorragender Schüler, dass die anderen Schüler auf ihn eifersüchtig wurden und das Gerücht verbreiteten, er hätte eine Affäre mit der Frau des Lehrers. Der Lehrer war so wütend, dass er Ahiṃsaka töten wollte und einen bösen Plan schmiedete. Anstatt Geld anzunehmen, sagte der Lehrer zu Ahiṃsaka, die Gebühr für sein Studium betrage tausend Finger, einen von jedem ermordeten Opfer.
Ahiṃsaka, von nun an verpflichtet, das Honorar für seinen Lehrer aufzubringen, versteckte sich im Jālinī-Wald in der Nähe von Sāvatthī und begann seine blutige Jagd. Er wurde zu einem kühnen, gnadenlosen Mörder und griff jeden an, den er auf den Landstraßen antraf. Bald trug er eine Girlande (māla) aus Fingern (aṅguli) um seinen Hals und wurde als Aṅgulimāla bekannt.
König Pasenadi machte sich mit einer Truppe von fünfhundert Soldaten auf den Weg, um den Geächteten gefangen zu nehmen. Als die Mutter Aṅgulimālas vom Vorhaben des Königs erfuhr, vermutete sie richtig, dass es um ihren Sohn Ahiṃsaka ging. Sogleich brach sie auf, um ihn zu warnen.
Als der Buddha an jenem Morgen die Welt überblickte, sah er, dass Aṅgulimāla reif war für die Einsicht, und dass er versuchen würde, seine eigene Mutter zu töten. Da der Buddha wusste, dass Aṅgulimāla in die Hölle käme, falls er Muttermord begehen würde, machte der Buddha sich auf den Weg, um sie beide zu retten.
Zu jenem Zeitpunkt hatte Aṅgulimāla bereits neunhundertneunundneunzig Finger gesammelt. Er brauchte nur noch einen, um sein Ziel zu erreichen. Als er seine Mutter kommen sah, beschloss er, sie als sein letztes Opfer zu töten. Doch dann erblickte Aṅgulimāla den Buddha, der alleine wanderte. Aṅgulimāla ließ von der Absicht, seine Mutter zu töten ab, stattdessen lief er dem Buddha hinterher. Mit Hilfe seiner übernatürlichen Kräfte ließ der Buddha nicht zu, dass Aṅgulimāla ihn einholte, ganz gleich wie schnell dieser rannte. Frustriert rief Aṅgulimāla: „Hör auf, Mönch! Bleib stehen!“
„Ich habe aufgehört, Aṅgulimāla“, antwortete der Buddha ruhig. „Jetzt musst du aufhören.“
Aṅgulimāla fragte: „Was meinst du?“
„Ich habe die Ausübung von Gewalt gegen Lebewesen vollends eingestellt“, antwortete der Buddha. „Aber du tötest weiter. Ich habe aufgehört, Aṅgulimāla. Du hast nicht aufgehört.“
„Endlich ist ein Weiser um meinetwillen in den großen Wald gekommen!“, sprach Aṅgulimāla. „Nachdem ich deine Ermahnung vernommen habe, werde ich von nun an das Böse aufgeben!“ Er warf sein Schwert und andere Waffen über eine Klippe, verneigte sich zu Füssen des Buddha und erwies ihm seine Ehrerbietung, dann bat er um die Ordination.
„Komm, Bhikkhu!“, erklärte der Buddha, und Aṅgulimāla war sogleich mit allen Requisiten ausgestattet. [Es gibt acht Requisiten für einen Bhikkhu: drei Roben (eine innere, eine obere und eine äußere), eine Almosen-Schale, ein Rasiermesser, eine Nadel, ein Gürtel und ein Wassersieb].
Mit dem neu ordinierten Bhikkhu als seinem Begleiter kehrte der Buddha in das Kloster Jetavana zurück. Auf seinem Weg in den Wald, auf der Suche nach dem Massenmörder, hielt König Pasenadi im Jetavana-Hain an, um dem Buddha seine Aufwartung zu machen. Nachdem der König sich vor dem Buddha verbeugt und zu einer Seite Platz genommen hatte, fragte ihn der Buddha: „Was ist los, Herr? Warum seid Ihr mit einer so großen Streitmacht aufgebrochen? Seid Ihr von einem benachbarten König angegriffen worden?“
„Nein, Ehrwürdiger Herr. Kein feindlicher König hat Kosala angegriffen. Es gibt einen Banditen namens Aṅgulimāla, der Sāvatthī in Schrecken hält. Gnadenlos hat er Hunderte von Reisenden getötet. Ich führe diese Soldaten, um ihn festzunehmen und sein mörderisches Treiben zu stoppen.“
„Herr, angenommen, Ihr würdet Aṅgulimāla sehen, mit geschorenem Haar und Bart, die gelbe Robe tragend, vom häuslichen Leben in die Hauslosigkeit gegangen, dem Töten von Lebewesen entsagt habend, die Sinne bezähmt und tugendhaft. Was würdet Ihr mit ihm tun?“
„Wir würden uns vor ihm verbeugen, Ehrwürdiger Herr. Wir würden ihm die Requisiten darbieten. Wir bezweifeln jedoch, dass in einer so gewalttätigen, bösen Person irgendeine Tugend oder Mäßigung vorhanden ist.“
Der Buddha wies mit seiner rechten Hand auf einen Mönch, der neben ihm saß und sagte: „Das, Herr, ist Aṅgulimāla.“
König Pasenadi erschrak, doch der Buddha sprach zu ihm: „Habt keine Angst, Herr, er stellt keine Gefahr für Euch dar.“
König Pasenadi verbeugte sich nochmals vor dem Buddha und sagte: „Es ist wunderbar, Ehrwürdiger Herr. Es ist großartig, wie der Gesegnete die Ungezähmten zähmt, den Streitsüchtigen zum Frieden anhält und diejenigen zu Nibbāna führt, die Nibbāna nicht erlangt haben. Ehrwürdiger Herr, wir selbst konnten diesen Mann mit Gewalt und Waffen nicht zähmen, doch der Gesegnete hat ihn weder mit Gewalt noch mit Waffen gezähmt.“
Indem er fleißig übte, erlangte der Ehrwürdige Aṅgulimāla in nicht allzu langer Zeit die Arahatschaft.
Eines Morgens, als der Ehrwürdige Aṅgulimāla in Sāvatthī auf die Almosenrunde ging, warf jemand einen Erdklumpen und traf ihn. Eine zweite Person warf einen Stock, eine dritte eine Tonscherbe, und auch diese trafen ihn. Am Kopf blutend, mit zerbrochener Schale, die äußere Robe zerrissen kehrte der Ehrwürdige Aṅgulimāla zum Kloster zurück. Als der Buddha ihn in der Ferne kommen sah, sprach er: „Ertrage es, Aṅgulimāla! Ertrage es! Du erlebst hier und jetzt das Ergebnis von Taten, wegen derer du viele Jahre, viele hundert Jahre, viele tausend Jahre in der Hölle hättest Qualen erleiden können.“
So erinnerte der Buddha den ehrwürdigen Aṅgulimāla an das Gesetz von Kamma. Als Arahat erlitt der Ehrwürdige Aṅgulimāla Verletzungen am Körper, doch sein Geist war völlig ungestört.